Unterstellung von Verleihagenturen unter das Arbeitsgesetz: Erste Einschätzungen

Mit dem Bundesgerichtsurteil 2C_470/2020 vom 22. Dezember 2021 fällt die 24-Stunden-Betreuung unter das Arbeitsgesetz, sofern die Betreuer*innen über eine Personalverleihagentur angestellt sind. Nun liegen erste Untersuchungen vor, welche Auswirkungen die neue rechtliche Ausgangslage auf Praxis und Betreuungsmarkt hat. Die Studienautorinnen erläutern.

 


Jennifer Steiner

Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Geografischen Institut der Universität Zürich

 

 


Karin Schwiter
Professorin am Geografischen Institut der Universität Zürich

Für eine vom Seco in Auftrag gegebene Studie haben wir im Herbst 2023 mit 31 in der Schweiz tätigen Live-in-Betreuungsbetrieben sowie sieben Expert*innen Interviews geführt. Dabei zeigte sich, dass sich das Geschäftsmodell nach dem Bundesgerichtsurteil nicht grundsätzlich verändert hat. Die vielfach geäusserte Vermutung, dass ein grosser Teil der Betriebe von Personalverleih auf Arbeitsvermittlung umstellen würde, hat sich bislang nicht bewahrheitet. Viele Betriebe warten ab oder haben erst kleinere Anpassungen vorgenommen. Demzufolge haben sich auch die Arbeitsbedingungen der Betreuer*innen (noch) nicht massgeblich verändert. Dennoch zeigen sich drei bedeutsame Entwicklungen:

Ein Teil der Verleihagenturen hat den Bereitschaftsdienst reduziert oder komplett gestrichen, um den Vorgaben des Arbeitsgesetzes zu entsprechen. Dennoch zählen die meisten von ihnen darauf, dass die Betreuungskraft «für den Notfall» zur Stelle wäre. So liegt die Vermutung nahe, dass die Betreuer*innen am Ende zu einem tieferen Lohn gleich viel arbeiten.

Als zweite Tendenz scheint sich eine Zweifirmenstrategie herauszubilden: eine Kombination aus Arbeitsvermittlung und einer Treuhandfirma, welche die administrativen Dienstleistungen für den Haushalt übernimmt. Deren rechtliche Zulässigkeit ist abzuklären.

Drittens werden Direktanstellungen in Zukunft wohl weiter an Bedeutung gewinnen. Um diese Entwicklung verfolgen zu können, bräuchte es eine statistische Erfassung von direkt im Haushalt angestellten Live-ins. Wir müssen davon ausgehen, dass zahlreiche direktangestellten Betreuer*innen informell beschäftigt werden und auch angemeldete Beschäftigte teilweise unter Mindestlohn bezahlt oder für geleistete Bereitschaftsstunden nicht entschädigt werden.

Es besteht nach wie vor ein grosses Kontrolldefizit. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass der Privathaushalt nicht als vollwertiger Arbeitsort anerkannt wird. Zudem führt die Ausnahme des Privathaushalts aus dem Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes dazu, dass für vermittelte im Vergleich zu verliehenen Live-in-Betreuer*innen weiterhin unterschiedliche Bedingungen gelten – obschon sich die geleistete Arbeit nicht unterscheidet.

Link zur Studie «Auswirkungen des Bundesgerichtsurteils vom 22. Dezember 2021 auf den Live-in-Betreuungsmarkt».

 


Kayla Zinser
Anwaltsassistentin und Masterstudentin an der Universität St. Gallen

 

 


Isabelle Wildhaber

Professorin an der Law School der Universität St. Gallen

Im Rahmen einer Bachelorarbeit an der HSG bei Prof. Dr. Isabelle Wildhaber hat Kayla Zinser Interviews mit fünf verschiedenartigen Verleihagenturen durchgeführt. Dabei hat sich Folgendes gezeigt:

Der Wissensstand bezüglich des Bundesgerichtsurteils variiert stark. Einige Interviewte sind gut informiert und beteiligen sich aktiv an Diskussionen und Gesprächen, um faire Arbeitsbedingungen zu fördern. Sie erkennen die Bedeutung des Urteils und der laufenden Gespräche mit dem Seco für die Branche an. Es gibt jedoch auch Unternehmen, die weniger informiert sind und das Urteil sowie seine Auswirkungen nicht angemessen berücksichtigen, teilweise auch Regelwerke nicht auseinanderhalten können. Die unterschiedlichen Kenntnisstände führen zu unterschiedlichen Anpassungen im Geschäftsmodell. Insgesamt zeigt sich, dass eine breitere Sensibilisierung und Kommunikation über das Urteil vorteilhaft wären, um eine einheitliche und angemessene Reaktion der Unternehmen sicherzustellen.

Das Bundesgerichtsurteil erfordert grundlegende Anpassungen im Geschäftsmodell vieler Personalverleihunternehmen. Die befragten Unternehmen haben, wenn, nur minimale Änderungen vorgenommen oder warten die Seco-Gespräche mit den Sozialpartner*innen ab. Einige Geschäftsführer*innen betonen, dass es sich um ein Einzelfallurteil handle, es dementsprechend keine Auswirkungen auf sie habe und das Arbeitsgesetz noch nicht für ihr Unternehmen gelte. Es herrscht also Uneinigkeit darüber, ob das Urteil bereits konkrete Auswirkungen hat und ob weitere Empfehlungen abgewartet werden sollten. Insgesamt zeigen die Interviews, dass die Umsetzung des Urteils zu Verunsicherungen und Irritationen führt, und dass viele Unternehmen noch nicht vollständig darauf vorbereitet sind, ihre Geschäftsmodelle entsprechend anzupassen.

Insgesamt gelten viele verschiedene Regelwerke in dieser Branche: Anwendbar sind Arbeitsvermittlungsgesetz, Arbeitsvermittlungsverordnung, Gesamtarbeitsvertrag Personalverleih und Arbeitsgesetz. Wie in den Seco-Gesprächen mit den Sozialpartner*innen deutlich wird, wünschen sich viele Stakeholder baldmöglichst eine gesamtheitliche Lösung.

Weiterführende Lektüre: Isabelle Wildhaber/Luise Locher, Agenturen in der Live-in-Betreuung: Intransparenz im Dreiecksverhältnis und darauf basierende Vertragsgestaltung, Aktuelle Juristische Praxis (AJP) 33 (2024) S. 3 ff.

Pflegende Angehörige bei der Spitex anstellen

Angehörige, die Familienmitglieder pflegen, haben die Möglichkeit, sich für ihre Pflegeleistungen bei der Spitex anstellen zu lassen. Immer mehr öffentliche und private Spitex-Organisationen bieten das sogenannte «Erwerbsmodell der Angehörigenpflege» an. Wie muss man vorgehen, wenn man zu Hause Angehörige pflegt, und sich bei einem Spitex-Betrieb anstellen lassen möchte? CareInfo hat die gemeinnützige Fach-Spitex solicare gefragt.

 


Caroline Odermatt
, Leitung Pflege, solicare AG

 

Romina Hauser, Leitung Entwicklung und Innovation, solicare AG

Wie muss man als pflegende*r Angehörige*r vorgehen, um sich bei der Fach-Spitex solicare anstellen zu lassen?
Angehörige oder die pflegebedürftige Person melden sich meistens telefonisch bei uns. Nach einem kurzen Gespräch bitten wir sie, ein Formular auszufüllen mit ihren Personalien, dem geschätzten Pflegebedarf und ihrer Sozialversicherungsdeckung. Das Formular kann online oder in Papierform ausgefüllt werden. Eine Pflegefachperson von solicare, die im Falle einer Anstellung für die pflegebedürftige Person zuständig wäre, prüft die Anmeldung. Bei erfüllten Kriterien (mindestens 60min. Grundpflege pro Tag, ausreichende Deutschkenntnisse, etc.) führt sie ein unverbindliches, persönliches Erstgespräch. Wenn sowohl die Pflegefachperson als auch die Angehörige und die pflegebedürftige Person einer Anstellung zustimmen, beginnt der Anstellungsprozess (Ausstellung des Arbeitsvertrags, Anmeldung der Pensionskasse usw.).

Welche Voraussetzungen gelten für eine Anstellung?
Für Spitex-Betriebe, die den sog. «Administrativverträgen» unterstehen, galt bis im Frühling 2023, dass sich pflegende Angehörige mittels Pflegehilfekurs (120 Std. Theorie, 12-15 Tage Praktikum) für eine Anstellung qualifizieren müssen. Seit Frühling 2023 ist auch eine gleichwertige Qualifikation möglich, die innerhalb des ersten Anstellungsjahres zu absolvieren ist. Deshalb haben wir das Curriculum QualiMio entwickelt, das auf die individuellen Bedürfnisse pflegender Angehöriger zugeschnitten ist. Der Lehrgang berücksichtigt, dass die pflegenden Angehörigen die individuelle Pflegesituation und den spezifischen Privathaushalt gut kennen und dass sie oft entsprechende Fähigkeiten in die Anstellung mitbringen. Unser Ziel ist, flexible und individuelle Bildungsinhalte als Mindestqualifikation zu etablieren, indem pflegende Angehörige bedarfsgerecht für die Leistungen geschult werden, die sie tatsächlich erbringen. Mit dem QualiMio unterstreichen wir auch die Bedeutung der Administrativverträge, denen wir mit dem Beitritt zu Spitex Schweiz ab dem 1.1.2024 unterstehen.

Wie stellt solicare sicher, dass die Qualität der Pflegeleistungen erfüllt ist?
Die Pflegesituation wird mindestens einmal im Monat zusammen mit den angestellten pflegenden Angehörigen vor Ort beurteilt. Dazu gehören neben der Beobachtung des Gesundheitszustandes der:des Klienten:in und dem allgemeinen Befinden beider, auch die gemeinsame Beurteilung der einzelnen Pflegeleistungen. Die zuständige Pflegefachperson leitet die Angehörigen in der jeweiligen Situation vor Ort im Privathaushalt an und begleitet sie kontinuierlich. Sie fragt nach, wie die geplanten Pflegeleistungen umgesetzt werden und beurteilt deren Qualität. Bei Bedarf weist sie direkt auf Verbesserungen hin oder plant zeitnah eine kurze Schulung zu einem spezifischen Thema mit dem Ziel, die Pflegeleistung korrekt ausführen zu können. Neben den Besuchen vor Ort nimmt die zuständige Pflegefachperson mindestens alle zwei Wochen telefonisch Kontakt auf, um den Pflegeprozess zu besprechen sowie nach dem Befinden oder Besonderheiten zu fragen.

Wie gelingt eine gute Zusammenarbeit mit angestellten pflegenden Angehörigen und den anderen Mitarbeitenden des Spitex-Teams?
Ein Schlüsselelement ist die Beziehung zwischen der zuständigen Pflegefachperson, den angestellten Angehörigen und der zu pflegenden Person. Gegenseitiges Vertrauen und Respekt ermöglichen das frühzeitige offene Ansprechen von Belastungen und Problemen, aber auch von Potentialen. Denn pflegende Angehörige verfügen über viele wertvolle Fähigkeiten. Der regelmässige persönliche Kontakt und die Pflegedokumentation der pflegenden Angehörigen, unterstützen die Zusammenarbeit ausserdem massgeblich.

Welche Chancen bringt das «Erwerbsmodell der Angehörigenpflege» der Gesellschaft?
Der Personalmangel in der Pflege ist allgegenwärtig. Mit diesem Ansatz kann eine Pflegefachperson bis zu 40 Hände gezielt für Grundpflegeleistungen befähigen. Zudem sind unsere pflegenden Angehörigen durch die Anstellung im ersten Arbeitsmarkt tätig. Manche sind nach der Anstellung durch die gut begleitete Pflegeerfahrung im familiären Umfeld gar motiviert, eine Pflegeausbildung zu beginnen.

Das Interview mit der Fach-Spitex solicare wurde schriftlich geführt. solicare ist derzeit die einzige gemeinnützige Fach-Spitex für pflegende Angehörige. Sie ist aktuell in 15 deutschschweizer Kantonen und in einem Kanton der Romandie vertreten. Weitere Informationen sind unter «www.solicare.ch» zu finden. Neben solicare bieten auch andere private und öffentliche Spitex-Betriebe die Anstellung pflegender Angehöriger an. Die Spitex-Organisationen entscheiden autonom, ob sie pflegende Angehörige anstellen möchten. Sie sind nicht dazu verpflichtet. Allfällige kantonale Vorgaben sind bei der Anstellung pflegender Angehörigen zu berücksichtigen.

Weitere Informationen:
«Positionspapier der Spitex Schweiz zur Anstellung pflegender Angehörigen».
«Empfehlung des Spitex Verbandes Kanton Zürich» zur Anstellung von pflegenden Angehörigen.
Im Rahmen des Forschungsprojekts der Careum Hochschule für Gesundheit «work&care integra: Anstellung von pflegenden Angehörigen bei der Spitex», ist ein Manual und ein Kalkulationstool entstanden, dass Spitex-Betrieben und pflegenden Angehörigen als Orientierungshilfe bei einer Anstellung hilft. Informationen darüber finden Sie «hier».
«Stellungnahme der Interessengemeinschaft Angehörigenbetreuung (IGAB) zur Anstellung pflegender Angehörigen».

Mindestlohn für Hausangestellte wird per 1. Januar 2024 erhöht

Der Bundesrat hat am 29. November 2023 entschieden, den nationalen Normalarbeitsvertrag (NAV) für Arbeitnehmer*innen in der Hauswirtschaft anzupassen und die Mindestlöhne zu erhöhen. Grund dafür ist die allgemeine Teuerung. Die Erhöhung der Mindestlöhne um 2.2% tritt am 1. Januar 2024 in Kraft.

Ab 1. Januar 2024 beträgt der Mindestlohn pro Stunde brutto, exklusiv Zuschläge für Ferien und Feiertage:

  • für ungelernte Arbeitnehmer*innen: Fr. 19.95 (bisher: Fr. 19.50)
  • für ungelernte Arbeitnehmer*innen mit mindestens vier Jahren Berufserfahrung
    in der Hauswirtschaft: Fr. 21.85 (bisher: Fr. 21.40)
  • für gelernte Arbeitnehmer*innen mit Eidgenössischem Fähigkeitszeugnis
    in der Hauswirtschaft: Fr. 24.05 (bisher: Fr. 23.55)
  • für gelernte Arbeitnehmer*innen mit einer abgeschlossenen, mindestens 2-jährigen beruflichen Grundbildung mit Bezug zu hauswirtschaftlichen Tätigkeiten: Fr. 21.85 (bisher: Fr. 21.40)

Das Gesetz verbietet es, weniger als diese Mindestlöhne zu bezahlen. Je nach Region, den dort geltenden Lebenshaltungskosten und je nach Pflichtenheft sollte der Lohn für Hausangestellte in privaten Haushalten höher sein.

Weitere Informationen zu Lohnbestimmungen finden Sie auf CareInfo. (Anpassung der Mindestlöhne erfolgt per 1.1.2024). Beachten Sie zudem die kantonalen Regelungen der Präsenzzeitbezahlung.

Weitere Informationen des Bundesrats zur Erhöhung der Mindestlöhne des nationalen NAV Hauswirtschaft lesen Sie hier.

Postulat von Samira Marti zur Live-in-Betreuung im Nationalrat angenommen

In einem Leitentscheid zur sogenannten 24-Stunden-Betreuung entschied das Bundesgericht vor zwei Jahren: Angestellte von Betreuungsagenturen sind dem Arbeitsgesetz unterstellt. Für Betreuerinnen, die direkt von Privathaushalten angestellt sind, gilt das Arbeitsgesetz hingegen weiterhin nicht. Mit der Überweisung eines Postulats fordert nun der Nationalrat, dass der Bundesrat Optionen aufzeigt, um Betreuungsverhältnisse in Privathaushalten dem Arbeitsgesetz zu unterstellen.

Der Leitentscheid (2C 470/2020) des Bundesgerichts besagt, dass für Live-In-Angestellte von Betreuungsagenturen das Arbeitsgesetz gilt. (siehe CareInfo-Newsbeitrag vom Februar 2022)
Für Betreuerinnen, welche direkt von Privathaushalten angestellt sind, gelten hingegen nach wie vor keine verbindlichen Arbeits- und Ruhezeitbestimmungen, denn Privathaushalte sind vom betrieblichen Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes ausgenommen.
Auf diese Ungleichbehandlung bezieht sich das im März 2023 eingereichte Postulat 22.3273 «Nach dem Grundsatzentscheid des Bundesgerichtes. 24-Stunden-Betreuung durch Pendelmigrantinnen endlich dem Arbeitsgesetz unterstellen» von Nationalrätin Samira Marti.
Die Postulantin beruft sich darin auf Aussagen des bundesrätlichen Berichtes von 2015 in Erfüllung des Postulates 12.3266 von Barbara Schmid-Federer:
Der Bundesrat habe damals sechs Handlungsoptionen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Pendelmigrantinnen, die in der 24-Stunden-Betreuung arbeiten, dargelegt. Eine davon ist die Unterstellung der Tätigkeiten unter das Arbeitsgesetz. In den Ausführungen dazu argumentierte damals der Bundesrat, «dass eine Beschränkung des Arbeitsgesetzes nur auf Vermittlungs- und Verleihagenturen zu einer Ungleichbehandlung der verschiedenen Betreuungsverhältnisse in Privathaushalte führe». Eine solche Ungleichbehandlung habe der Bundesrat damals explizit ausgeschlossen.
«Mit dem neusten Grundsatzentscheid des Bundesgerichts in dieser Sache werden nun Betreuungsverhältnisse, die durch eine Verleihagentur erfolgen, dem Arbeitsgesetz unterstellt. Entsprechend muss zukünftig der Vollzug des ArG in privaten Haushaltungen gewährleistet werden. Damit dieser Entscheid Wirkung zeigt, müssen jedoch zwingend alle Betreuungsverhältnisse in privaten Haushaltungen dem ArG unterstellt werden. Wie der Bundesrat bereits festgestellt hat, ist eine Ungleichbehandlung vergleichbarer Situationen inhaltlich nicht zu rechtfertigen und schafft neue Möglichkeiten zum Missbrauch», argumentiert das Postulat.

Der Bundesrat beantragte im Mai 2022 die Ablehnung des Postulats. Er begründet dies mitunter mit bereits bestehenden Regelungen: Die zwingenden Mindestlöhne für die Hauswirtschaftsbranche und den kantonalen Normalarbeitsverträge für Hauspersonal. Im Jahr 2017 forderte er die Kantone auf, ihre Normalarbeitsverträge anhand eines Modell-Normalarbeitsvertrags des SECO zu verbessern. Eine aktuelle Analyse zeige, dass etwa die Hälfte der Kantone diese nicht bindenden Vorschläge inzwischen übernommen haben. (siehe CareInfo-Newsbeitrag vom November 2019) Der Entscheid des Bundesrats, weiterhin den Kantonen die Aufgabe zu überlassen, die Arbeitsbedingungen der sogenannten 24-Stunden-Betreuung zu regeln, beruhe auf der Regulierungsfolgenabschätzung, welche im Auftrag des Bundesrats vorgenommen wurde.
«Eine weitergehende Unterstellung der privaten Haushalte unter das Arbeitsgesetz drängt sich deshalb nicht auf. Die Gründe, die damals zu ihrem Ausschluss aus dem Anwendungsbereich führten, gelten immer noch. Mit der oben genannten Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Unterstellung der Arbeitnehmenden in Dreiparteienverhältnissen unter das Arbeitsgesetz, hat sich die rechtliche Situation einer bestimmten Gruppe von Arbeitnehmenden zudem bereits in die von der Postulantin gewünschten Richtung entwickelt. Es bedarf daher keiner weiteren Berichterstattung», schliesst der Ablehnungsantrag.

Eine Mehrheit im Nationalrat überzeugte die Argumentation des Bundesrats offenbar nicht. Im September überwies die grosse Kammer das Postulat an den Bundesrat. Dieser ist somit beauftragt, in einem Bericht darzulegen, welche Optionen bestehen, um sämtliche Betreuungsverhältnisse in privaten Haushaltungen dem Arbeitsgesetz zu unterstellen.

Das vollständige Postulat 22.3273 finden Sie unter https://www.parlament.ch/

Neues Modell für die Live-in Betreuung

Das Projekt «FairCare Tandem-Modell» soll faire Arbeitsbedingungen für Care-Migrantinnen und qualitativ gute Betreuung zu Hause ermöglichen. Karin van Holten, eine der Projektleitenden, gibt Auskunft.

 

 

 

Karin van Holten
Co-Leiterin, Kompetenzzentrum Partizipative Gesundheitsversorgung Berner Fachhochschule

Wie ist das Projekt «FairCare Tandem-Modell» entstanden? Welche Ziele werden damit verfolgt?
Meine Projektpartner*innen, Andy Biedermann und Corina Salis Gross von Public Health Services haben vor einigen Jahren als betreuende Angehörige Dienstleistungen von Care-Migrant*innen in Anspruch genommen und dabei problematische Aspekte des Live-In-Betreuungsmodells erkannt. Sie haben mich dann ins Boot geholt, weil ich seit 2013 zum Thema forsche. Gestartet sind wir 2020.
Unser Ziel: Basierend auf einer fundierten Problemanalyse wollen wir ein neues Modell für die Live-in Betreuung entwickeln, das die professionelle Rolle der Betreuungspersonen stärkt und ihre Arbeitsbedingungen verbessert. Die Innovation liegt in einer engen und klar geregelten Zusammenarbeit von Spitex-Organisationen und Betreuungsanbietern.

Mit welchen Herausforderungen wurden Sie bisher konfrontiert? Wie konnten diese gelöst werden?
Live-in Care ist ein ambivalentes Thema, das in der Gesellschaft wie der Fachwelt kontrovers diskutiert wird. Deshalb arbeiten wir mit einem breit aufgestellten Netzwerk von Partnerorganisationen. Dieses umfasst Spitexorganisationen, Anbieter von Betreuungsdienstleistungen, Ämter, Gewerkschaften, Verbände, Live-in Betreuer*innen sowie Vertreter*innen von Interessensorganisationen wie Swiss Carers, Seniorenrat etc. Diese breite Partnerschaft ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass wir praxistaugliche und möglichst ‘faire’ Lösungsansätze entwickeln.

Seit Dezember 2021 gilt für Firmen, die Care-Migrantinnen zur Betreuung von Menschen zu Hause beschäftigen, das Arbeitsgesetz. (siehe Newsbeitrag CareInfo vom 22.02.2022)
Was bedeutet dieser Entscheid für die Entwicklung des «FairCare Tandem-Modells»?

Es ist klar, die rechtlichen Vorgaben müssen eingehalten werden. Wir verwenden deshalb nicht den Begriff «24-Stunden-Betreuung», sondern sprechen von Live-in Betreuung. Dies, um zu betonen, dass niemand alleine rund um die Uhr im Einsatz sein kann. Das bedeutet auch, dass wir mit klaren Kriterien festlegen, in welchen Situationen eine Live-in Betreuung nicht (mehr) möglich ist.

Was sind die nächsten Schritte im Projekt?
Aktuell arbeiten drei Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen. Das Modell wird überarbeitet, damit es den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Zudem wird ein Instrument entwickelt, dass den Betreuungsbedarf differenziert erhebt. Das ist wichtig für die Einsatzplanung wie auch für die Arbeitszeitkontrolle.
Der Betreuungsbedarf wird in vielen Fällen die zulässige Arbeitszeit der Live-in Betreuungspersonen übersteigen. Deshalb sucht eine dritte Arbeitsgruppe nach Entlastungsmöglichkeiten, damit die Freizeit der Live-Ins garantiert und die notwendige Betreuung dennoch sichergestellt sind.

Die Pilot-Phase mit der wissenschaftlichen Begleitevaluation startet voraussichtlich im Sommer 2023 und soll ein Jahr dauern. Die entwickelten Instrumente und Tools werden anschliessend praxistauglich aufbereitet und allen Interessierten zugänglich sein.

Das Interview mit Karin van Holten wurde schriftlich geführt.

Mindestlohn für Hausangestellte wird per 1. Januar 2023 angepasst

Der Bundesrat hat am 9. Dezember 2022 entschieden, den nationalen Normalarbeitsvertrag (NAV) für Arbeitnehmer*innen in der Hauswirtschaft um drei Jahre zu verlängern, bis zum 31. Dezember 2025. Gleichzeitig werden die Mindestlöhne leicht angepasst. Die Verlängerung und die Erhöhung der Mindestlöhne treten ab 1. Januar 2023 in Kraft.

Ab 1. Januar 2023 beträgt der Mindestlohn pro Stunde brutto,
 exklusiv Zuschläge für Ferien und Feiertage:

  • für ungelernte Arbeitnehmer*innen: Fr. 19.50 (bisher: Fr. 19.20)
  • für ungelernte Arbeitnehmer*innen mit mindestens vier Jahren Berufserfahrung
    in der Hauswirtschaft: Fr. 21.40 (bisher: Fr. 21.10)
  • für gelernte Arbeitnehmer*innen mit Eidgenössischem Fähigkeitszeugnis
    in der Hauswirtschaft: Fr. 23.55 (bisher: Fr. 23.20)
  • für gelernte Arbeitnehmer*innen mit einer abgeschlossenen, mindestens 2-jährigen beruflichen Grundbildung mit Bezug zu hauswirtschaftlichen Tätigkeiten: Fr. 21.40 (bisher: Fr. 21.10)

Das Gesetz verbietet es, weniger als diese Mindestlöhne zu bezahlen. Je nach Region, den dort geltenden Lebenshaltungskosten und je nach Pflichtenheft sollte der Lohn für Hausangestellte in privaten Haushalten höher sein.

Weitere Informationen zu Lohnbestimmungen finden Sie auf CareInfo. (Anpassung der Mindestlöhne erfolgt per 1.1.2023). Beachten Sie zudem die kantonalen Regelungen der Präsenzzeitbezahlung.

Weitere Informationen des Bundesrats zur Verlängerung des nationalen NAV Hauswirtschaft lesen Sie hier.