Neues Modell für die Live-in Betreuung
Das Projekt «FairCare Tandem-Modell» soll faire Arbeitsbedingungen für Care-Migrantinnen und qualitativ gute Betreuung zu Hause ermöglichen. Karin van Holten, eine der Projektleitenden, gibt Auskunft.
Karin van Holten
Co-Leiterin, Kompetenzzentrum Partizipative Gesundheitsversorgung Berner Fachhochschule
Wie ist das Projekt «FairCare Tandem-Modell» entstanden? Welche Ziele werden damit verfolgt?
Meine Projektpartner*innen, Andy Biedermann und Corina Salis Gross von Public Health Services haben vor einigen Jahren als betreuende Angehörige Dienstleistungen von Care-Migrant*innen in Anspruch genommen und dabei problematische Aspekte des Live-In-Betreuungsmodells erkannt. Sie haben mich dann ins Boot geholt, weil ich seit 2013 zum Thema forsche. Gestartet sind wir 2020.
Unser Ziel: Basierend auf einer fundierten Problemanalyse wollen wir ein neues Modell für die Live-in Betreuung entwickeln, das die professionelle Rolle der Betreuungspersonen stärkt und ihre Arbeitsbedingungen verbessert. Die Innovation liegt in einer engen und klar geregelten Zusammenarbeit von Spitex-Organisationen und Betreuungsanbietern.
Mit welchen Herausforderungen wurden Sie bisher konfrontiert? Wie konnten diese gelöst werden?
Live-in Care ist ein ambivalentes Thema, das in der Gesellschaft wie der Fachwelt kontrovers diskutiert wird. Deshalb arbeiten wir mit einem breit aufgestellten Netzwerk von Partnerorganisationen. Dieses umfasst Spitexorganisationen, Anbieter von Betreuungsdienstleistungen, Ämter, Gewerkschaften, Verbände, Live-in Betreuer*innen sowie Vertreter*innen von Interessensorganisationen wie Swiss Carers, Seniorenrat etc. Diese breite Partnerschaft ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass wir praxistaugliche und möglichst ‘faire’ Lösungsansätze entwickeln.
Seit Dezember 2021 gilt für Firmen, die Care-Migrantinnen zur Betreuung von Menschen zu Hause beschäftigen, das Arbeitsgesetz. (siehe Newsbeitrag CareInfo vom 22.02.2022)
Was bedeutet dieser Entscheid für die Entwicklung des «FairCare Tandem-Modells»?
Es ist klar, die rechtlichen Vorgaben müssen eingehalten werden. Wir verwenden deshalb nicht den Begriff «24-Stunden-Betreuung», sondern sprechen von Live-in Betreuung. Dies, um zu betonen, dass niemand alleine rund um die Uhr im Einsatz sein kann. Das bedeutet auch, dass wir mit klaren Kriterien festlegen, in welchen Situationen eine Live-in Betreuung nicht (mehr) möglich ist.
Was sind die nächsten Schritte im Projekt?
Aktuell arbeiten drei Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen. Das Modell wird überarbeitet, damit es den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Zudem wird ein Instrument entwickelt, dass den Betreuungsbedarf differenziert erhebt. Das ist wichtig für die Einsatzplanung wie auch für die Arbeitszeitkontrolle.
Der Betreuungsbedarf wird in vielen Fällen die zulässige Arbeitszeit der Live-in Betreuungspersonen übersteigen. Deshalb sucht eine dritte Arbeitsgruppe nach Entlastungsmöglichkeiten, damit die Freizeit der Live-Ins garantiert und die notwendige Betreuung dennoch sichergestellt sind.
Die Pilot-Phase mit der wissenschaftlichen Begleitevaluation startet voraussichtlich im Sommer 2023 und soll ein Jahr dauern. Die entwickelten Instrumente und Tools werden anschliessend praxistauglich aufbereitet und allen Interessierten zugänglich sein.
Das Interview mit Karin van Holten wurde schriftlich geführt.