Rekrutierungs- und Vermarktungsstrategien von Betreuungs-Agenturen

Huey Shy Chau und Katharina Pelzelmayer beschäftigen sich seit 2013 mit dem Markt der live-in Privatbetreuung. In ihren Doktorarbeiten an der Universität Zürich gehen sie unterschiedlichen Fragestellungen nach: Frau Chau untersucht die Rolle der Agenturen als Rekrutiererinnen und Vermittlerinnen. Frau Pelzelmayer interessiert sich dafür, wie Agenturen die Versorgungsarbeit auf dem Markt verstehen und vermarkten. CareInfo erfährt im Gespräch mit den jungen Doktorandinnen die neusten Erkenntnisse aus dieser noch unveröffentlichten Forschung.

 

 

 

Katharina Pelzelmayer und Huey Shy Chau
Doktorandinnen am Geografischen Institut, Universität Zürich

Die Medien berichten seit Jahren von einem Boom der 24h-Betreuung in der Schweiz. Wie schätzen Sie diese Aussage aktuell ein?
Huey Shy Chau: Es gibt keine genauen Angaben zu live-in Betreuerinnen und Agenturen. Die Zahl der Agenturen hat aber seit der Erweiterung der Personenfreizügigkeit im Jahr 2011 auf die neuen EU-8 Länder sichtlich zugenommen.
Katharina Pelzelmayer: Ein Boom ist ja nicht nur ein nachvollziehbarer Anstieg, sondern eine exponentielle Steigerung. Der Punkt ist, dass man dazu keine genauen Aussagen machen kann. Denn teilweise sind die Agenturen nicht registriert, obwohl sie dies sein müssten. Und diejenigen, die registriert sind, sind manchmal für eine Vielzahl von Dienstleistungen registriert. Sagen kann man, dass die Medienberichte seit der Erweiterung der Personenfreizügigkeit zugenommen haben: von null bis fünf Medienberichten auf 30 pro Jahr. Da kann man von einem Boom sprechen.

Frau Chau, Sie befassen sich speziell mit der Rolle der Betreuungs-Agenturen. Wie funktionieren die Rekrutierungen von betreuenden Personen?
Chau: Die Rekrutierungs-Praktiken sind sehr unterschiedlich: Die einen Agenturen inserieren in Zeitungen, andere funktionieren stark über Facebook. Dort haben sie ein Profil und so etwas wie einen Marktplatz. Die Bewerbungs-Praktiken sind auch sehr unterschiedlich: von einfachen Telefoninterviews bis hin zu mehrstufigen Selektionsverfahren. Es gibt auch Agenturen, die nichts anderes machen, als Daten zu potentiellen Betreuerinnen zu sammeln. Diese funktionieren wie Call-Center, die die Betreuerinnen in einen Pool aufnehmen. Diese ausländischen Unternehmen arbeiten zum Teil mit Betreuungs-Agenturen in der Schweiz zusammen. Es kann aber auch sein, dass Rekrutiererinnen für das Bewerbungs-Verfahren zu den Betreuerinnen hinfahren. Eine Schweizer Agentur reist zum Beispiel alle zwei Wochen in das Rekrutierungsland und macht vor Ort Bewerbungsgespräche.

Nach welchen Kriterien werden Betreuerinnen selektiert?
Chau: Die Kriterien bei der Selektion sind abhängig von den Marketing-Strategien. Die einen Agenturen rekrutieren nur aus Deutschland, weil aus ihrer Sicht Deutschkenntnisse für ihre Kundinnen am wichtigsten sind. Andere rekrutieren nur aus Ungarn, weil Betreuerinnen aus diesem Land eine „bessere Arbeitsethik“ haben sollen. Wieder andere Agenturen rekrutieren nur aus der Slowakei, denn dort seien Menschen „warmherziger“. Die Agenturen versuchen schliesslich durch die unterschiedlichen Rekrutierungs-Strategien ihre Dienstleistungsangebote voneinander abzugrenzen. Unsere Resultate zeigen jedoch schön, dass die ’ideale Betreuerin’ eine Illusion ist. Denn es gibt sie nicht.

Es gibt also verschiedene Fähigkeiten, welche die Agenturen als „Marke“ verkaufen: Sprachkenntnis, Arbeitsethik, Warmherzigkeit. Was gibt es noch?
Chau: Geduld, Helfersyndrom, Wille zur Arbeit und noch vieles mehr. Interessant finde ich, dass die meisten Rekrutiererinnen das Helfersyndrom, also die Hingabe zur Arbeit, stärker oder gleich stark gewichten, als Ausbildung und professionelle Erfahrungen.
Pelzelmayer: Bei der Sprache geht es spezifisch auch darum, sich einfügen zu können. Also der bedürftigen Person eine gute Betreuung zu verschaffen, indem man sich als Betreuerin am Arbeitsplatz Privathaushalt einfügt, die Normen versteht und die Essensgepflogenheiten nachvollziehen kann. Die Anpassung findet jedoch nur in eine Richtung statt: Ich als betreute Person erwarte, dass man meine Sprache spricht, mein Essen kocht, und dass der Tagesablauf meinen Bedürfnissen entspricht. Ich würde die Bedeutung der Sprachkenntnis in diese Richtung interpretieren.

Sie, Frau Pelzelmayer, haben sich mit der Frage vertieft, wie Versorgungsarbeit auf dem Arbeitsmarkt verstanden und vermarktet wird.
Pelzelmayer: Die Arbeit wird über die Person und über die Herkunft der Betreuerin verstanden. Also über die Vorstellung einer liebevollen Betreuung durch eine herzliche Osteuropäerin, zum Beispiel. Die Charakteristika einer Betreuerin sind ausschlaggebend für die Definition der Arbeit und der Dienstleistung. So wird die Betreuerin dann auch auf den Webseiten der Agenturen vermarktet: Mit klaren Bildern, auf welchen man eine junge Frau sieht, die sofort an eine (liebevolle) Osteuropäerin denkt lässt. Das ist sehr interessant. Die Vermarktung baut klar auf Stereotypen auf.

Sehen Sie problematische Dynamiken in der Vermarktung dieser Arbeit?
Pelzelmayer: Eine Problematik sehe ich in der Legitimierung des Marktes, die auf Unterschieden aufbaut. Das heisst, wir legitimieren ein 24h-Modell mit dem angeblich niedrigeren Lohnniveau im Osten und mit der Art der Arbeitstätigkeit, für die man wenig bezahlen müsse. Das wird mit einer Win-Win-Situation angepriesen. Das ist ein Problem. Das Modell ist darauf aufgebaut, dass die Care-Migrantinnen nicht hier wohnen, nicht aus der Schweiz sind und eine Arbeit leisten, die als de-qualifiziert wahrgenommen wird.

Wie schätzen Sie die Entwicklung des Care-Marktes in Zukunft ein?
Chau: Der Markt soll besser reguliert werden. Wird der Privathaushalt zum Beispiel dem Arbeitsgesetz unterstellt, führt das zu besseren Arbeitsbedingungen. Das wiederum kann einen Schritt Richtung Professionalisierung dieses Berufes mit sich bringen.
Pelzelmayer: Ich finde, man müsste die 24h-Betreuung grundsätzlich hinterfragen. In diesem Arrangement ist ja gerade die Präsenz, die zählt. Also die Idee, dass jemand immer da ist. Es muss jedoch hinterfragt werden, ob von einer Person erwarten werden kann, dass sie rund um die Uhr präsent ist, eine Vielzahl an Tätigkeiten verrichten muss, wenig Lohn erhält und de-qualifiziert wird.

Interview: Jasmine Truong

 



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