Wenn pflegende Angehörige an Grenzen stossen

In der Schweiz pflegen zehntausende Töchter, Söhne, Partnerinnen und Partner ihre Nächsten. Oft stossen pflegende Angehörige dabei an die Grenzen ihrer eigenen Belastbarkeit. Lösungen werden gesucht, Informationen gesammelt, Möglichkeiten und Grenzen gegeneinander abgewägt. CareInfo wollte wissen, welche Umstände Menschen dazu führen, sich für eine Care-Migrantin zu entscheiden. Zwei betroffene Angehörige berichten über ihre Beweggründe.

Vier Jahre konstante Belastung

Vier Jahre lang betreute ich meine an Alzheimer erkrankte Frau. Ich spürte dabei einen ständigen Druck. Zum Beispiel war ich unruhig, wenn ich Einkäufe tätigte oder wenn ich im Garten arbeitete. Wenn meine Frau alleine zu Hause war, fürchtete ich immer, dass etwas passieren könnte. So kam ich nach vier Jahren konstanter Belastung an meine Grenzen.
Ich sprach mit Fachleuten über verschiedene Möglichkeiten von Pflegesituationen. Zusätzlich recherchierte ich selbst im Internet. Mein Hausarzt sagte mir: «Wissen Sie, wenn Ihre Frau im Pflegeheim ist und Sie jeden Tag ins Pflegeheim gehen, dann macht Sie das kaputt. Und wenn Sie nur einmal in der Woche ins Pflegeheim gehen, dann werden Sie ein schlechtes Gewissen haben».
Für mich war klar, dass meine Frau nicht in ein Pflegeheim kommt. Man kann sich ja auch kaum mehr einen Platz im Pflegeheim leisten. Neben dem finanziellen Aspekt war für mich die Erfahrung ausschlaggebend, dass meine Frau jeweils verwirrt aus den kurzen Aufenthalten im Pflegezentrum zurück kam. Dort war sie untergebracht, wenn ich Entlastung brauchte. Ständig wechselndes Pflegepersonal, die fremden Leute und die fremde Umgebung waren nicht gut für sie. Das war der Grund, weshalb ich mich für eine private Betreuung entschied. Damit meine Frau zu Hause in der gewohnten Umgebung bleiben konnte. Von einem Bekannten erfuhr ich, dass er Ungarinnen bei sich hatte. Er war begeistert von dieser Betreuungssituation. Ich fragte bei ihm nach. Auch weil ich mehr über die deutschen Sprachkenntnisse der Betreuerinnen wissen wollte. So erfuhr ich von der Agentur.
Ob ich mir vorstellen könnte, selber einmal privat betreut zu werden? Ich werde bald 75 Jahre alt. Ich verkaufe mein Einfamilienhaus und ziehe noch dieses Jahr in eine Mietwohnung. Es ist eine 4.5 Zimmer Wohnung. Klar, wenn was ist, wäre die Wohnung gross genug für eine Lösung mit einer Privatbetreuung. Ich weiss, dass gewisse Kreise gegen solche Betreuungsverhältnisse sind. Es heisst, die Frauen werden ausgenutzt. Aber wie will man es machen ohne? Die meisten können sich nicht 8’000 bis 9’000 Franken im Monat leisten für einen Platz im Pflegeheim.

Aus Unmut wieder zu Hause

Die Dinge müssen gemacht werden: Kochen, Waschen, Putzen, Bügeln, die Organisation des Einkaufs, die Organisation der Spitex, das Festlegen von Arztterminen, Übungen machen mit meinem Mann. Klar kann man sich für jede Aufgabe Hilfe holen. Doch dies zu organisieren und zu koordinieren, überforderte mich. Mein Mann ging daher in ein privates und angeblich erstklassiges Pflegeheim. Die Pflege im Heim war aber so schlecht, dass ich jeden Morgen von 10 Uhr bis um abends um 18 Uhr dort war, um ihn und die Pflege zu überwachen. Das hat mir Mut gemacht, zu sagen: «das kann ich auch». Ich traf die Entscheidung, meinen Mann wieder heimzuholen. Die Fachleute kommentierten meine Entscheidung nur negativ: «Das schaffen Sie nicht», «Sie sind körperlich zu schwach», «Sie sind auch nicht mehr jung». Nur der Hausarzt redete mir Mut zu. Er sagte, ich solle es versuchen. Für mich war aber klar, dass ich nicht alles alleine machen konnte. Ich wusste von dem Modell der privaten Altenbetreuung. Es stellte sich nur noch die Frage, wer seriöse Privatbetreuung anbietet. Ich informierte mich. Eine Spitexmitarbeiterin riet mir schliesslich, zu Caritas Schweiz zu gehen. Wir haben nun zwei Betreuerinnen, die abwechselnd bei uns leben – es ist ein Glücksfall. Wir haben eine Pflegeversicherung. Diese zahlt aber nur, wenn der Patient in einer Institution ist. Das finde ich stossend. Denn sehr viele Frauen, die ihre Eltern pflegen, müssen ihren Beruf aufgeben. Bei mir war das zum Glück nicht der Fall, ich bin 77 Jahre alt und in Rente.
Wenn ich in die Situation käme, dass ich gepflegt werden müsste, dann würde ich es zuerst in einem Pflegeheim versuchen. Die Betreuerinnen, die wir haben, sind zwar wunderbar. Dennoch sind sie nicht rund um die Uhr anwesend. Haben sie frei, bin ich für meinen Mann da. Ausserdem habe ich die Fäden in der Hand: treffe Entscheidungen und organisiere die Arztbesuche. Benötigte ich einmal eine Rundumbetreuung und würde zu Hause bleiben, wäre niemand da, der diese zentralen Aufgaben übernimmt. Von Privatbetreuerinnen kann ich nicht erwarten, dass sie diese Entscheidungen treffen. Denn Sie haben nur eine unterstützende Rolle.



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