Was, wenn Roboter uns pflegen?
Der Pflegenotstand ist ein viel diskutiertes Thema in der Schweiz. Mehr und mehr ist dabei auch die Rede von pflegenden Robotern. Sie können bei der praktischen Pflege und Versorgung entlasten und werden auch therapeutisch eingesetzt, zum Beispiel bei demenzerkrankten Menschen. Was bedeutet der Einsatz von Robotern? Was verspricht die Technik und wo stösst diese an psychologische und ethische Grenzen? CareInfo hat bei Prof. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello von der Universität Bern nachgefragt.
Prof. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello,
Universität Bern
«Die Akzeptanz von Robotern jeglicher Art wird mit Gewissheit weiter ansteigen»
Wie beurteilen Sie den Einsatz von Zuwendungsrobotern bei betagten, betreuungsbedürftigen Menschen?
Menschen, ob alt oder jung, ob pflegebedürftig oder nicht, haben eines gemeinsam: ein Bindungs- und Liebesbedürfnis. Diesem kommen Beziehungsroboter entgegen, denn sie eignen sich bestens – wie etwa auch Haustiere – als Projektionsflächen für die verschiedensten Wünsche. Das heisst, sie suggerieren den Menschen, dass sie ihre Gefühle von Zuwendung und Liebe entgegennehmen und erwidern können. Je naturnaher beziehungsweise menschenähnlicher der Roboter aussieht und sich verhält, desto mehr Erwartungen werden geweckt.
Und gerade hier liegt das Problem beziehungsweise die Grenze des Einsatzes solcher Roboter: Sie sind letztendlich kein Ersatz für menschliche Zuwendung und Liebe, für Gespräche über Themen, die alte Menschen häufig beschäftigen (Verluste, Lebenssinn, Spiritualität, Tod). Gerade ältere, hilfs- und pflegebedürftige Menschen leiden unter emotionaler und nicht primär unter sozialer Einsamkeit – das heisst, sie können sich trotz sozialer Umgebung und Zuwendung, dennoch innerlich völlig allein gelassen fühlen (etwa mit ihren Fragen, Hoffnungen und Ängsten). Aus diesem Grunde können Zuwendungsroboter bestenfalls gute Ergänzungen sein für menschliche Zuwendung und Nähe, aber niemals ein Ersatz dafür. Dies gilt natürlich auch für Demenzkranke. Auch wenn sie keine kohärenten Gespräche mehr führen können, reagieren sie auf feine emotionale Zwischentöne und sind auf proaktive menschliche emotionale und soziale Nähe angewiesen, welche kein Roboter ersetzen kann.
Wie schätzen Sie das Potenzial von weiterer Robotik ein, um pflegebedürftige Menschen ein Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen?
Hier sehe ich ein grosses Potenzial. Wir stellen in unserer Gesellschaft kürzere kranke Jahre im hohen Alter fest. Dennoch bleibt eine Phase der leichten Einschränkung, in der die Eigenständigkeit (zum Beispiel durch Stürze) rasch verloren gehen kann. Die Eigenständigkeit ist somit stark von der Umwelt abhängig (hindernisfreies Wohnen, Haushalthilfen, etc.). Um das Verbleiben im eigenen Haus weiterhin zu ermöglichen, sind Service-Roboter etwa mit Erinnerungsfunktion (Medikamenteneinnahme, Mahlzeiten), aber auch smarte Haushalthilfen und Rollstühle nützlich und wünschenswert. Solche Roboter kämen nicht nur dem hilfs- und pflegebedürftigen Menschen zugute, sondern auch den pflegenden Angehörigen. Dies beispielsweise in Form von Überwachung der pflegebedürftigen Person, durch Entlastung bei körperlich beschwerlichen Arbeiten, Hygieneverrichtungen und Routinetätigkeiten oder Alarmierung bei Notfällen. Neueste Bestrebungen gehen dahin, die Organisation ambulanter Pflege mittels Roboter weiter zu optimieren und zu koordinieren (Zum Beispiel via einen Datenpool). Aber das ist Zukunftsmusik.
Blicken wir in die Zukunft: Was bedeutet der Einsatz von Robotik in der Altenpflege für unsere Gesellschaft als Ganzes?
Trotz grossem Nutzen und vielversprechenden Ansätzen in der Robotik bleiben noch viele Fragen offen. Zum einen sind die Preise für solche Roboter extrem hoch und für die meisten unerschwinglich. Offene Fragen gibt es etwa auch zur Haftung und zum Datenschutz. Dem Einsatz von Robotern in der Altenpflege kann jedenfalls nur zugestimmt werden, wenn das Wohlergehen der Menschen im Vordergrund stehen – nicht alles, was technisch machbar ist, muss auch psychologisch und ethisch wünschenswert sein. Dies bedingt, dass bei der Entwicklung solcher technischer Hilfsmittel ältere Menschen und pflegende Angehörige sowie Professionelle der Pflege unbedingt partizipativ mitwirken. Die Akzeptanz von Robotern jeglicher Art wird mit Gewissheit weiter ansteigen. Die künftige Generation alter Menschen wird eh mit moderner Technologie aufgewachsen und gewohnt sein, dass Robotik Bestandteil des täglichen Lebens ist.
Das Interview mit Prof. Dr. Perrig-Chiello wurde schriftlich geführt
Weitere Informationen:
Studie «Robotik und autonome Geräte in Betreuung und Gesundheitsversorgung»